13. September 2021

„Die Geschichten fehlen. Ironisch für die selbsternannte Branche des Storytellings.“

Laia Abellán Ponce de León, Strategist für die DACH-Region Creative Shop Facebook, spricht im ADC Interview über Diversität und Frauen in der Kreativbranche, über die Verantwortung von Markenmachern und was ihre Kreativität anspornt. Laia ist beim ADC Future Females Workshop als Speakerin dabei, dem ersten maßgeschneiderten Leadership-Programms für weibliche Kreative.

Laia, du bist als Speakerin Teil des neuen ADC Future Females Programms. Was sind deine persönlichen Ziele verbunden mit unserem Workshop? Wann ist das Programm für dich ein Erfolg?

Köpfe aufmachen. Perspektive bieten. Beweisen, dass Führung und Karriere für Menschen, die sich als Frau identifizieren, so viel mehr sein kann als man vielleicht in ihrem unmittelbaren Umfeld sieht. Mit immer noch nur 20 Prozent Führungspersonen und nur 12 Prozent Kreativdirektor*innen, die sich als Frau identifizieren, kann so ein Programm vor allem erstmal einen Impuls geben und eine Bühne bieten, um jungen Talenten eine Vielzahl an Lebenswegen und Karrieren aufzuzeigen – die sonst in deren Alltag statistisch gesehen zu selten vorkommen.

Es heißt ja „You can‘t be what you can‘t see“. Ich will aber glauben, dass in einer Branche, die von Regelbrüchen geprägt wird, das eben doch möglich ist. Aber es ist verdammt viel schwerer, wenn Frauen um sich herum überwiegend männliche Führungsmodelle sehen. Diese können wunderbar inspirierend sein, keine Frage. Doch deren Führungsstil und Lebensmodelle sind oft sehr ähnlich – und dazu oft (obwohl zum Glück immer weniger) sehr „klassisch/normativ“. Die Projektionsfläche wird dadurch sehr einseitig. Die Geschichten fehlen. Ironisch für die selbsternannte Branche des Storytellings. Das erwarte ich vom Programm: mehr Geschichten. Eine möglichst große Bandbreite an Geschichten wie Führung und Karriere aussehen kann. Nicht nur für Frauen, sondern für alle, die abseits der klassischen Rollenverteilungen nach Inspiration und Impulsen suchen.

Wir freuen uns sehr auf deine Keynote. Worum wird es gehen?

Ich werde über Karriere-Mythen sprechen – aus Sicht modernen Leaderships in Tech-Organisationen mit flachen Hierarchien. Es wird ein persönlicher Beitrag sein, basierend auf meinen eigenen Erfahrungen – als Frau und auch als Spanierin in Deutschland.

Du hast bereits über 15 Jahren Erfahrung in der Führung von Marken und Teams durch Transformations- und Beschleunigungsprojekte und hast beispielsweise die Neupositionierung von Marken für Global Player wie Coca-Cola, Ferrero, Siemens, Deutsche Telekom und zuletzt für Volkswagen geleitet. Wie wichtig ist es für dich, solche großen Transformationsprozesse in einem diversen Team umsetzen zu können? Spielt Diversität dabei für dich eine Rolle? 

Aufgrund meiner Identität hat Diversität schon immer eine große Rolle gespielt. Am Anfang meiner Zeit in Deutschland war ich im Job oft die einzige Nicht-Deutsche – und sehr häufig eine von wenigen Frauen. Das war nicht immer leicht. Aber ich hatte das Glück, überwiegend mit Menschen, Marken und Kunden zu arbeiten, die eben meinen etwas anderen Blickwinkel geschätzt und gefördert haben. Später wurde mir – besonders als Strategin – auch bewusster, wie wichtig eine Vielzahl an unterschiedliche Meinungen, Erfahrungen und Identitäten für ein Team und ein Projekt sind. Besonders (aber nicht ausschließlich) wenn man mit globalen „Volksmarken“ zu tun hat. Diese dienen Millionen, teilweise Milliarden von Konsument*innen. Wir haben da als Markenmacher eine Verantwortung gegenüber diesen Menschen. Und jeder von uns allein ist aus Sozialisierungsgründen zu vorkonditioniert mit unbewussten Vorurteilen, um dieser Verantwortung allein gerecht werden zu können. Es braucht darum unterschiedliche Profile mit unterschiedlichen Erfahrungen, Glauben, Perspektiven und Denkweisen.

Diversität ohne Inklusivität bringt wenig.

Das allein aber reicht nicht. Diversität ohne Inklusivität bringt wenig. Es braucht eine starke Kultur, in der jeder Mensch im Team sich sicher fühlt, ihre und seine Ideen zum Ausdruck bringen zu können. Wo Reflektion über die eigenen Biases stattfindet und Menschen dabei geholfen wird, diese zu identifizieren und ein besserer „Ally“ gegenüber Minderheiten zu werden.

Was waren die prägendsten Projekte deiner Karriere?

Man wächst mit seinen Aufgaben und idealerweise ist das letzte Projekt immer das prägendste und herausforderndste. Aber es gibt natürlich gewisse Meilensteine. Für mich waren das oft Pitches. Der verlorene Pitch um Lufthansa mit Scholz & Friends Hamburg einerseits, und der gewonnene globale Volkswagen-Pitch mit DDB/VOLTAGE andererseits.

Ich nutze dafür oft das Zitat von Charles Dickens aus A Tale of Two Cities: „It was the best of times, it was the worst of times“. Ich habe Pitches immer als große Katalysatoren erlebt. Eine besondere Chance, über sich selbst hinauszuwachsen und seine Grenzen auszuprobieren. Neues sehen. Und Neues wagen. Ein bisschen wie Intensivtraining. Es trainiert die verschiedensten Denkmuskeln innerhalb kürzester Zeit und endet oft – Gewinn hin oder her – mit einem Adrenalinrausch. Für mich sind das deshalb richtige Entwicklungsbeschleuniger – solange der Pitch berechtigt ist und fair geführt wird.

Unter prägenden Projekten muss ich allerdings aus Karrieresicht auch an unterschiedliche Organisationen und Arbeitskulturen denken. HEIMAT (damals noch als gründergeführtes Unternehmen), das Powerhouse vom New Volkswagen (mit 13 verschiedenen Partnern und Agenturen) und jetzt eben die Zeit auf globaler Tech-Seite bei Facebook sind enorm prägend gewesen. Ich würde persönlich immer jedem empfehlen, gerade am Anfang nicht nur verschiedene Marken zu betreuen, sondern auch Lernchancen und Herausforderungen in unterschiedlichen Strukturen, Märkten und verschiedenen Arbeitskulturen zu suchen. Gerade in der heutigen Zeit, wo alles im Wandel ist. Denn je mehr Realitäten ich kenne, umso stärker ist meine Anpassungsfähigkeit und mein Erfahrungsschatz, um auf neue Lösungen zu kommen.

Je mehr Realitäten ich kenne, umso stärker ist meine Anpassungsfähigkeit und mein Erfahrungsschatz.

Wenn du auf deine bisherige Karriere zurückblickst: Welcher Rat hat dich am meisten vorangebracht? Gibt es etwas, das du schon früher hättest wissen wollen?

„Sei immer finanziell unabhängig“. Dieser Rat kam von meinem Opa. Er meinte es in Bezug auf Beziehungen. Aber karrieretechnisch gilt es für mich genauso. Natürlich ist es ein Privileg, das nicht jeder hat – vor allem nicht in den Junior-Jahren. Aber solange man ein bisschen Geld zur Seite legen kann, ist das der beste Weg, keine angstgesteuerte Karriere-Entscheidungen treffen zu müssen.

Und was ich früher hätte wissen wollen: eine rechtzeitige, gut begründete (Job-)Absage, kann eine Zukunftsinvestition sein. Sowohl wenn man selbst die Absage erteilt, als auch wenn man diese bekommt. Externe Absagen haben mir geholfen, Wachstumsfelder zu identifizieren, in denen ich mich noch entwickeln konnte. Somit waren solche Jobabsagen eine Art Kompass für meine Karriere. Und Chancen, die ich abgesagt habe, haben oft zu noch besseren, vertrauensvolleren Beziehungen und später noch interessanteren Chancen geführt. Ich denke, solange man rechtzeitig, ehrlich und respektvoll kommuniziert, können aus einer Absage beide Seiten sehr profitieren.

Hattest du selbst eine*n Mentor*in? Warum würdest du selbst ein Mentoringprogramm empfehlen?

Ja, ich hatte das Glück, großartige Frauen und Männer entlang meiner Karriere kennenzulernen, die dann zu Vertrauenspersonen geworden sind, die ich als meine Mentor*innen bezeichnen würde – auch wenn wir formell unsere Beziehung nie so gekennzeichnet haben. Dazu habe ich an verschiedenen „offiziellen“ Mentoringprogrammen teilgenommen – und dadurch auch diesen Kreis erweitert. Ich würde aber sagen, es muss die Chemie und das Vertrauen zwischen Mentor*in und Mentee stimmen. Ohne diese Basis ist ein Mentorship für beide oft wenig sinnvoll.

Was ist aus deiner Sicht das Ziel eines Mentorings?

Die eigene Sichtweise kritisch erweitern. Und zwar bestenfalls in beide Richtungen. Idealerweise „baut“ man sich entlang seiner Karriere ein Netzwerk an Mentor*innen mit verschiedenen Profilen und Erfahrungen. Denn auch hier bringt Diversität Mehrwert. Mentor*innen sind letztendlich Impulsgeber, die einem nah genug stehen, um ehrlich und somit teilweise auch hart über die eigenen Karrierefragen zu sprechen. Es wäre dabei unrealistisch und unfair, diese Erwartungshaltung gegenüber einer einzigen Person zu haben.

Was hat dir / wie hast du dir geholfen, wenn es karrieretechnisch einmal nicht in die richtige Richtung ging? Bist du schon an ein „dead end“ gekommen?

Man muss erstmal erkennen, dass man an ein „dead end“ gekommen ist. Manchmal kommt diese Erkenntnis erst zeitversetzt. Oft wenn man der eigenen Intuition nicht vertraut und zu sehr nach Lehrbuch seine Karriere aufbauen will. Ich glaube, dass solche Fehler oft in jungen Jahren passieren, weil man das Gefühl hat, dass man sich „durchkämpfen“ muss. Das stimmt auch zu einem gewissen Grad – aber manchmal ist das Bauchgefühl von Anfang an richtig und man hätte auf den Bauch hören müssen.

Das eine Mal, wo ich tatsächlich nicht mehr die richtige Richtung wusste, habe ich etwas getan, das ich mich früher nie getraut hätte. Und zwar: Kündigen, ohne den nächsten Schritt zu kennen. Im Nachhinein war das eine große Befreiung und die beste Entscheidung. Ich war frei im Kopf und konnte endlich in Ruhe nachdenken und ohne Stress viel entspannter die Optionen für meinem nächsten Schritt überlegen.

Unter welchen Bedingungen kannst du selbst kreativ sein? Was muss vorhanden sein, damit du am kreativsten arbeiten kannst?

Verantwortung und Freiheit. Für ein größeres Business-Ziel Verantwortung zu übernehmen, spornt meine Kreativität an. Freiheit ist vielleicht eine übliche Antwort für viele Kreative, aber im Kontext von Diversität spielt dieser Punkt eine wesentliche Rolle. Wer hat in einer Abstimmungsrunde nicht befürchtet, belächelt oder sogar ausgelacht zu werden? In manchen Kreisen herrscht immer noch eine gewisse „Law&Order“ Kultur, die es schwierig für andersdenkende Menschen macht, ihre Meinungen und Ideen auszudrücken.

Verantwortung und Freiheit. Verantwortung für ein größeres Business-Ziel zu übernehmen, spornt meine Kreativität an.

Wie kommt die Kommunikationsbranche zu mehr Diversität? Zu mehr Teilhabe an den entscheidenden Stellen?

Die eine Antwort gibt es sicherlich nicht – wir müssen es systematisch angehen, und zwar auf allen Ebenen und in allen Facetten von Diversität und Inklusivität. Was klar ist, es braucht uns alle – nicht nur die Frauen oder anderen Minderheiten. Es ist eben nicht die Aufgabe derjenigen, die unterrepräsentiert sind, für mehr Diversität zu sorgen. Ich mag in dieser Hinsicht den Gedanken von „Allyship“, Solidarität. Im Bereich Frauenförderung bedeutet es zum Beispiel oft, dass Männer sich eben als Ally für mehr Chancengleichheit proaktiv im Alltag einsetzen. Es muss nicht immer das Große und Ganze sein. Es fängt im Kleinen an, in den Denkweisen und unserer Arbeitskultur. In Kommentaren bei der Abstimmung oder im LinkedIn Post. Und skaliert dann auf das Strukturelle und das Systemische. Ins Recruiting, in die Karriereförderung und bei der Führungsentwicklung. Wenn wir mehr Diversität und Inklusivität sicherstellen wollen, braucht es eine Mischung aus informellen und formellen Veränderungen, die nicht nur programmatisch umgesetzt, sondern irgendwann von jedem verinnerlicht werden.

Im Sinne eines systemischen Wandels hat die COVID-19-Krise viele positive Auswirkungen gehabt: Veränderungen am Arbeitsplatz und in der Arbeitsweise, die früher utopisch erschienen, sind zum New Normal geworden. Ich erwarte eine neue inklusivere Arbeitswelt, die unterschiedlichen Lebensentwürfen und verschiedenen Menschentypen viel besser gerecht wird. Und das sogar ortsunabhängig. Das kann eine großartige Chance für mehr Diversität und Inklusivität sein.

 

Laia Abellán Ponce de León ist Markenstrategin und Teil des Creative Shops bei Facebook. Bevor Sie 2019 bei Facebook anfing, hat sie als Markenstrategin beim FCB Barcelona, McCann-Erickson Madrid, Scholz & Friends Hamburg, HEIMAT Berlin und DDB / VOLTAGE Berlin gearbeitet.

Mit 15 Jahren Erfahrung in der Führung von Marken und Teams durch Transformations- und Beschleunigungsprojekte hat Laia die Neupositionierung von Marken für Global Player wie Coca-Cola, Ferrero, Siemens, Deutsche Telekom und zuletzt für Volkswagen geleitet. Als DDB Executive Strategy Director für Volkswagen war sie Teil des Teams, das das Volkswagen New Brand Design und den Global Agency Pitch leitete. Seit ihrem Wechsel zu Facebook hat sie sich der Aufgabe verschrieben, die Automobil- und Modeindustrie dabei zu unterstützen, die digitale Präsenz auszubauen, indem sie mit Kunden und Agenturen zusammenarbeitet und eine kreative Strategie für die Sozialen Medien entwickelt.

 

Laia wird im Rahmen des ADC Future Females Workshop als Speakerin dabei sein. Alle Infos zum Programm hier.

 

 

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